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FAHRGAST - Die Zeitung
Ausgabe 4/2000 - Dezember 2000
www.fahrgast.at/z00-4-3.htm - Letzte Änderung dieser Seite am 9.1.2001 (ARK)
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Die Eisenbahn als eiserner Vorhang

Mit dem Zug Nummer 62952 entlang der türkisch-syrischen Grenze

Zwischen Gaziantep und Nusaybin, 2 Orten im Süden bzw. Südosten der Türkei, unweit der Grenze zu Syrien, verkehrt ein Zug mit der Nummer 62952, der zwar keinen klangvollen Namen besitzt, aber dennoch etwas Besonderes, ja sogar Einmaliges ist.

Der Ausgangspunkt dieser Eisenbahnstrecke, Gaziantep, ist eine moderne Industriestadt. Ein Besuch vermittelt ein eindrucksvolles Bild vom modernen Leben in einer türkischen Großstadt, und außerdem verfügt diese Stadt über eine sehr schöne, erst neulich restaurierte Zitadelle aus osmanischer Zeit, von der man einen prächtigen Ausblick über die Stadt und ihre Umgebung erhält. Gaziantep verfügt auch über einen modernen, aber leider fast unbenützten Bahnhof. Hier trifft nur zwei Mal in der Woche der Taurus Expreß aus dem 1550 km entfernten Istanbul ein. Eine direkte Verbindung in die Hauptstadt Ankara gibt es nicht.

Einige Regionalzüge in die nähere Umgebung verkehren zeitweise und selbstverständlich der bereits erwähnte 62952, von dem hier die Rede sein soll.

Um 7 Uhr früh beginnt der 62952, der lediglich zwei Personenwaggons und eine stattliche Anzahl von Güterwagen mitführt, seine 10-stündige Fahrt ins 480 km östlich gelegene Nusaybin. Es finden sich stets nur eine Handvoll Fahrgäste ein, benötigt der Bus für das gleiche Ziel doch viel weniger Zeit. Die Strecke selbst befuhr noch vor einigen Jahrzehnten der aus Istanbul kommende legendäre Taurus Expreß mit dem damaligen Ziel Baghdad. Wegen der politischen Umstände ist dieses Ziel heute unerreichbar.

Der 62952 verläßt Gaziantep immer pünktlich und schlängelt sich mit nur mäßiger Geschwindigkeit durch das von Wasserknappheit gezeichnete, jedoch fruchtbare Hügelland der Südtürkei. Längst ist der Streit um das Wasser mit Syrien zum Problem geworden. Kurz vor Karkamis, bereits 80 km vom Ausgangspunkt entfernt, erblickt man zum ersten Mal den Euphrat, einen wahrhaft wunderschönen Fluß, der mit seinem Wasser die Hoffnung für die Menschen und gleichzeitig der Anlaß zum Streit geworden ist.

Die Stadt Karkamis besitzt heute vor allem wegen seiner Kasernen eine Bedeutung. Hier zweigte bis vor wenigen Jahrzehnten die Bahn nach Aleppo in Syrien ab. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof erkennt man die verbarrikadierten Schienen Richtung Syrien, das von hier nur mehr wenige Kilometer entfernt liegt. Fotografieren ist ab nun strengstens verboten. Mitreisende Soldaten sorgen für die strikte Einhaltung dieses Verbotes, denn nun beginnt der interessanteste Teil dieser Bahnfahrt.

Die Grenze zwischen den verfeindeten Nachbarn Türkei und Syrien stellt nämlich der eingleisige Schienenstrang dar. Blickt man in Fahrtrichtung rechts aus dem Fenster, sieht man syrische Bauern bis zum Bahndamm ihre Felder bestellen. Ab und zu winken Kinder dem Reisenden freundlich entgegen. Von Militär und Absperrungen ist nichts zu sehen.

Blickt man in Fahrtrichtung links aus dem Fenster, so erblickt man vor allem türkische Militäranlagen. Unzählige Bunker, Stacheldraht, Gefechtsunterstände und Geschütze aller Art und selbstverständlich viele Soldaten, die von ihren Aussichtsposten hinüber nach Syrien blicken. Hier sollte vermutlich der Standort der vom NATOPartner Türkei georderten deutschen Kampfpanzer sein. Weit im Hintergrund sind immer wieder Sperranlagen und Zäune zu erkennen, die die Zivilbevölkerung von der Grenze fernhalten sollen. Weit von der Grenze entfernt verläuft die Straße, auf der man auch ganz unspektakulär von Gaziantep nach Nusaybin fahren kann.

Der Zugreisende aber fährt 400 km durch militärisches Sperrgebiet. Als die alten europäischen Kolonial- oder Schutzmächte die Grenzen der Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches festlegten, wurden als Grenze zwischen der Türkei und Syrien die Gleise der Baghdadbahn gewählt mit der alleinigen türkischen Betriebserlaubnis für die Bahn. Da läßt es sich die Türkei natürlich nicht nehmen, einen völlig defizitären Bahnbetrieb zu führen, um damit den Syrern zu zeigen, wer hier offiziell das Sagen hat.

Der 62952 nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof Akcakale

Die wenigen Bahnhöfe an der Strecke sind so angelegt, daß der Grenzzaun stets das ganze Bahngelände umfaßt. Auf halber Strecke liegt Akcakale, wo sogar beim Eintreffen des Zuges ein Grenztor nach Syrien geöffnet wird, um einen Grenzübertritt zu ermöglichen. Hier, wie auch in anderen Unterwegsbahnhöfen werden einige Güterwaggons abgestellt und andere angehängt.

Diese Fahrt führt unglaublicherweise fast 400 km direkt am Grenzzaun entlang. Der Schaffner war immer so erstaunt, einen Ausländer im Zug anzutreffen, daß er es sich nicht nehmen ließ, ein wenig zu plaudern, so weit es seine bescheidenen Englischkenntnisse zuließen. Viel Arbeit hatte er auf dieser Fahrt ohnedies nicht. Früher, als noch der Taurus Expreß nach Baghdad hier entlang fuhr, sei noch viel Leben entlang der Bahn gewesen.

Gegen 17 Uhr nähert sich der Zug seinem Ziel. Erst jetzt weicht er einige hundert Meter von der Grenze ab, macht einen weiten Bogen und fährt dann mitten durch die Kleinstadt Nusaybin, dem Endpunkt dieser Fahrt, mit bereits großteils arabischer Bevölkerung. Stets entsteigen dem Zug mehr begleitende Soldaten als Fahrgäste. Im Winter ist der Bahnhof bei der Ankunft bereits in fast völlige Dunkelheit gehüllt. Beim Ausfahrtsgleis im Bahnhof Richtung Syrien erkennt man noch die verbarrikadierten Schienen, die eine Weiterfahrt nach Al Qamischli jenseits der Grenze in Syrien oder gar nach Mossul und Baghdad im Irak derzeit unmöglich machen. Ob in Zukunft wohl eine Weiterfahrt wieder möglich sein wird?

Eines der ganz seltenen Fotos vom Bahnhof Nusaybin

Derzeit kann man in Nusaybin übernachten und entweder mit dem Bus weiter in den Osten der Türkei oder zu Fuß über die Grenze nach Syrien weitergehen. Vom einzigen Hotel, einem erstaunlich guten Quartier in einem so entlegenen kleinen Ort, sind es bis zum Grenzzaun gerade einmal 200 m. Auf der anderen Seite der Grenze, in Syrien, liegt die große Stadt Al Qamischli, von der aus Züge nach Aleppo weiterfahren.

Auf alle Fälle ist eine Fahrt im 62952 ein ganz besonderes Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte, wenn man Gelegenheit dazu hat.

Text: Peter Romen; Fotos: Klaus Hofstädter


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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